Adventszeit, Ansteckungszeit! Wie wir unbemerkt Emotionen übertragen und uns von ihnen anstecken lassen

Kennen Sie das? 

Situationen wie diese begegnen mir in der Adventszeit besonders häufig: Ich freue mich wahnsinnig auf etwas, eine gemütliche Weihnachtsfeier mit Freunden, das erste Treffen auf dem Weihnachtsmarkt oder auch auf Weihnachten selbst. Seit Tagen wird es mir ein bisschen warm ums Herz und ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, wenn ich daran denke. Dann ist es endlich soweit. Als ich ankomme, scheint aber niemand meine Vorfreude zu teilen. Statt Feierlaune werden Gründe geteilt, warum gerade alles doof ist und man eigentlich gar keine Zeit hat, hier zu sein. 

Hmpf, so viel zu meiner seligen Vorstellung von einer schönen gemeinsamen Zeit. Bei so viel Miesepetrigkeit, die von allen Seiten auf mich einströmt, fühlt es sich fast frivol an, sich zu freuen. Ein Lächeln wirkt völlig fehl am Platz, also wische ich es schnell weg und setze eine ernste, leicht leidende Miene auf. 

Ganz schnell und unbemerkt ist es passiert: Ich habe mich von der schlechten Laune anstecken lassen. Ja, man kann sich nicht nur mit Grippe anstecken, sondern auch mit Emotionen! In der Psychologie nennt man diesen Prozess emotionale Ansteckung. 


Glücklicherweise sind bei emotionaler Ansteckung die Auswirkungen nicht immer negativ, oft sind sie sogar positiv, weil wir uns auch mit Lachen und guter Laune anstecken können. Das haben Sie hoffentlich auch schon erlebt, wenn Sie so von Euphorie und Positivität mitgerissen wurden, dass Sie gar nicht mehr anders konnten, als selbst gute Laune zu versprühen. 

Wie wirkungsvoll schon ein kleiner Akt emotionaler Ansteckung sein kann, zeigt diese Geschichte eines New Yorker Busfahrers, die Elizabeth Gilbert (Eat, Pray, Love und Big Magic) letztes Jahr bei einer Lesung in San Francisco erzählt hat.


Die Geschichte vom New Yorker Busfahrer


Es ist ein kalter, regnerischer Tag in New York. Die Stadt ist mal wieder dicht. Der Bus kriecht von Haltestelle zu Haltestelle und wird dabei von Fußgängern überholt. Die Leute im Bus sind angespannt. Sie wollen einfach nur nach Hause, nicht ewig untätig auf der Straße festsitzen. Eine Wolke aus Ungeduld, Stress und Frustration macht sich breit.

Das weiß auch der Busfahrer. Er greift zum Mikrofon und macht eine Durchsage: “ Ich fahre diesen Bus heute bis zur Endstation am Hudson River. Ich weiß, Sie sind alle gestresst und ärgern sich, weil wir hier nicht vorwärts kommen. Nehmen Sie diesen Ärger, die Sorgen und den Stress und geben Sie sie mir, ich kümmere mich drum. Legen Sie sie in meine Hand, wenn Sie aussteigen. Ich werfe sie dann für Sie in den Hudson, wenn ich dort ankomme.”

An jeder Haltestelle hält der Busfahrer seine Hand hin und alle, die aussteigen, legen ihren Ärger hinein. An diesem Abend nimmt keiner der Passagiere den aufgestauten Ärger und die Frustration mit nach Hause. Statt sie weiter in den Stadtteilen New Yorks zu verteilen, lassen sie sie im Bus zurück, und kommen erleichtert und entspannt zuhause an. Mit nur ein paar Worten und einer Geste hat der Busfahrer die dunklen Gedanken durch Erleichterung und Vorfreude auf Zuhause ersetzt.

Wie war das nochmal mit der emotionalen Ansteckung?


Wir tauschen ständig miteinander Emotionen aus, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Emotionale Ansteckung passiert innerhalb von Millisekunden - so schnell und so subtil, dass wir es gar nicht mitbekommen.

So läuft sie ab: Wenn wir mit einer anderen Person interagieren, passen wir uns automatisch an sie an, indem wir ihren Gesichtsausdruck, Tonfall, Körperhaltung und Bewegungen nachahmen. Als Rückmeldung auf diese Anpassung in Mimik und Gestik produziert unser Körper die passenden Emotionen dazu. Wir spiegeln unser Gegenüber nicht nur äußerlich, sondern fühlen auch wie es. 

Emotionale Ansteckung ist eine grundlegende Voraussetzung für die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. ¹ Wie tief sie in uns verankert ist, zeigt sich darin, dass bereits Säuglinge, die zwischen 4 und 6 Monate alt sind, ihren Gesichtsausdruck ihrem Gegenüber anpassen. Schaut sie jemand mit geweiteten Pupillen an, was ein Zeichen für positive oder negative Erregung wie Angst, Aufregung oder große Freude ist, übernehmen sie diese Erregung und auch ihre Pupillen weiten sich. ²


Mit der Entwicklung des Internets hat die Bedeutung und vor allem Reichweite emotionaler Ansteckung gewaltig zugelegt. Dank Internet haben wir die Möglichkeit, zu jeder Zeit mit unzähligen Menschen rund um den Erdball zu kommunizieren und uns gegenseitig in unseren Gefühlen zu beeinflussen. Vor allem soziale Netzwerke sind groß darin, Emotionen zu verbreiten - allen voran Facebook. Wie gut das funktioniert, zeigte eine Studie von 2014 ³, die allerdings sehr umstritten war, weil sie ohne das Wissen der Nutzerinnen und Nutzer durchgeführt wurde. 4 Knapp 690 000 Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern wurden entweder weniger positive oder weniger negative emotionale Posts in ihrem Newsfeed angezeigt. Diese gezielte Veränderung machte sich prompt in deren Reaktionen bemerkbar: Wer weniger negative Posts zu sehen bekam, postete selbst weniger negative Inhalte und stattdessen mehr positive. Wer allerdings weniger positive Emotionen zu sehen bekam, teilte auch selbst weniger positive Inhalte. 

Kann ich etwas gegen emotionale Ansteckung tun oder hilft nur Quarantäne?


Emotionale Ansteckung passiert meistens unbewusst und so schnell, dass wir uns oft erst später wundern, wo unsere schlechte (oder gute) Laune herkommt. Ganz ausgeliefert sind wir der Gefühlsübertragung allerdings nicht. Es gibt einiges, was wir dagegen tun können, wenn wir uns oder andere nicht mit schlechter Laune anstecken wollen:

1) Für Ausgeglichenheit sorgen

Als erstes hilft es, sich der eigenen Emotionen bewusst zu werden und Verantwortung für sie zu übernehmen. Ich gebe zu, das klingt eher nach einer Lebensaufgabe als nach einem schnellen Tipp. Es gibt trotzdem ein paar einfache Sachen, mit denen man direkt anfangen kann: Ausreichend Schlaf, regelmäßiges und vernünftiges Essen und Bewegung sorgen für eine ausgeglichene und positive Grundstimmung. Wer hungrig, übermüdet und energielos ist, ist schneller gereizt und irritierbar. 

2) Schlechte Laune auf später verschieben

Natürlich haben wir manchmal trotzdem schlechte Laune. Dann sollten wir uns überlegen, ob es sich lohnt, andere damit anzustecken, oder ob wir sie einfach für die nächste Zeit ignorieren können. Entweder unser Ärger verschwindet dann von selbst oder ist auch später noch da, wenn wir uns ihm ungestört hingeben können.

3) Angriff ist die beste Verteidigung

Emotionale Ansteckung ist wie eine Superkraft, die wir selbst auch nutzen können, wenn wir auf negative Emotionen treffen. Begegnen wir anderen mit einem Lächeln oder strahlen Ruhe und Gelassenheit aus, wirkt das oft Wunder.

Falls das nicht reicht, kann es helfen mit der schlecht gelaunten Person darüber zu sprechen, was ihre Laune verursacht hat. Das kann beiden Parteien guttun: Die andere Person kann sich ihren Ärger von der Seele reden und wir fühlen uns wieder besser, weil wir helfen konnten.

Diese Tipps sollten helfen, nicht nur die Vorfreude auf Weihnachten zu bewahren und weiterzugeben, sondern auch um ausgeglichener durch den Rest des Jahres zu kommen.

Einen schönen Advent und passen Sie auf, mit was Sie sich anstecken lassen!



Verweise

[1] Bestimmte Faktoren machen uns anfälliger für emotionale Ansteckung, wenn uns die andere Person etwa viel bedeutet oder wir besonders gut darin sind, nonverbales Verhalten zu lesen oder unsere eigenen Gefühle und Stimmungen zu erkennen.

[2] https://www.nature.com/articles/s41598-017-08223-3
Diese Anpassung der Pupillenweite findet übrigens auch bei Schimpansen statt.
Erst dieses Jahr konnten Wissenschaftler der Uni Wien nachweisen, dass es emotionale Ansteckung auch bei Raben gibt. Dazu ließen sie Raben einen Artgenossen beobachten, der entweder ein beliebtes oder sehr unbeliebtes Leckerli entdeckte. Raben, die einen Artgenossen beobachteten, der ein unbeliebtes Leckerli erspäht hatte und entsprechend frustriert war, zeigten sich pessimistischer und bewegten sich langsamer als die, die einen anderen Raben beobachtet hatten, der ein beliebtes Leckerli erhalten hatte. Siehe hier: https://www.pnas.org/content/116/23/11547

Foto von Mike Arney auf Unsplash