Wie es sich anfühlt, im Silicon Valley zu leben

Das Silicon Valley ist einer der Sehnsuchtsorte der heutigen Zeit, besonders Ingenieure und Technikbegeisterte träumen davon, hier zu arbeiten. Viele wollen hierher, um bei der Gestaltung der (technischen) Zukunft mitzuwirken, um bei Google, Facebook oder Apple zu arbeiten oder um eine Idee in ein Startup zu verwandeln. Hier ist mein Eindruck davon, was es bedeutet im Tal der Zukunft zu leben, wo Fortschritt beginnt und Innovationen geboren werden. Vorne weg, es ist schön und angenehm, aber nicht so aufregend, wie es klingt.

Um ehrlich zu sein, hatte ich mir nie viele Gedanken über das Silicon Valley gemacht. Ich wusste, was es war und dass Tante oder besser Onkel Google dort wohnt. Erst als plötzlich die Möglichkeit im Raum stand, dass wir dorthin ziehen könnten, fing ich an, mich mehr damit auseinanderzusetzen, Artikel zu lesen und darüber zu fantasieren. Ich stellte mir Palmen und Sonnenschein vor, Wolkenkratzer mit glitzernden gläsernen Fassaden, pulsierendes Tag- und Nachtleben, hippe junge Leute in T-Shirts und Shorts, die mit ihren Macbooks in Cafés sitzen und eifrig vor sich hin tippen oder bei Google im Bällebad rumhüpfen. Gut, ich dachte auch, dass man in Mountainview einen tollen Blick auf die Berge hätte, und dass es in Sunnyvale besonders sonnig sei.

Soweit meine romantische Vorstellung. Dann sind wir hierher gezogen, und ich wurde mit der Realität konfrontiert. Palmen und Sonnenschein gibt es tatsächlich im Überfluss. Den Rest meiner romantischen Vorstellungen musste ich nach und nach aufgeben.

Vorstadt ohne Zentrum

Das Silicon Valley ist wie eine Großstadt ohne Zentrum, ein Patchwork aus Industrie- und Arbeitsgebieten mit flachen Bürogebäuden von fragwürdiger Ästhetik, sterilen Wohnanlagen und Retortensiedlungen, etwas bunteren Wohnvierteln mit Einfamilienhäusern, Einkaufzentren und Grünanlagen. Eine durchschaubare Struktur, also ein Zentrum mit Restaurants und Geschäften mit Wohngebieten außenrum und Industriegebieten am Rand, wie es in deutschen Städten meist der Fall ist, sucht man vergeblich. Auch eine Quadrat- oder Fächerstruktur, wie man das von Mannheim, New York und Karlsruhe kennt, oder irgendeine andere geometrische Struktur lässt sich nicht erkennen. Es ist einfach nur eine bunte Aneinanderreihung von Arbeit, Wohnen und Einkaufen. Es hilft auch nicht unbedingt, dass alle Orte fließend ineinander übergehen und die Ortsgrenzen keiner Logik folgen und nicht erkennbar sind. Oft weiß ich nicht, ob ich gerade in San José, Sunnyvale, Cupertino oder Santa Clara bin, und muss Google fragen, wenn ich es wissen will. Kein Wunder, dass hier Google Maps entwickelt wurde! Anfangs habe ich einige Energie darauf verwendet, ein Zentrum, das heißt Straßen mit Geschäften, Restaurants und Cafés, durch die es sich schön bummeln lässt, zu finden, habe es aber mittlerweile aufgegeben. Für ein richtiges Stadtgefühl muss man wohl nach San Francisco.

Wo sind die hippen jungen Leute?

Insgesamt ist das Silicon Valley eine ziemlich langweilige Gegend, eine einzige Vorstadt ohne Innenstadt. Von aufregendem Nachtleben keine Spur, alle Veranstaltungen enden um 18 Uhr, auch Weinfeste, und die meisten privaten Veranstaltungen lösen sich spätestens um 22 Uhr auf. Hier wohnen hauptsächlich Familien oder Menschen, die ihre Arbeit so sehr lieben, dass sie möglichst nah bei ihr wohnen wollen. Die jungen, hippen Leute, von denen ich dachte, dass sie den Hauptanteil der Bewohner ausmachen, wohnen in San Francisco. Ihnen macht es nichts aus, für das Leben in der Hipster-Metropole noch teurere Mieten und einen Arbeitsweg von mindestens 90 Minuten in Kauf zu nehmen.

Der Verkehr wird mindestens zweimal täglich zum Albtraum. Zwischen 8 und 10 und zwischen 17 und 19 Uhr muss man mit erheblichen Verspätungen rechnen, weil die Straßen verstopft sind. Die Tatsache, dass es alle 50 bis 100 Meter eine Ampel gibt, macht das nicht besser. Ein besser ausgebautes Schienennetz könnte die Straßen sehr entlasten, da hier aber niemand Wert auf öffentliche Verkehrsmittel legt, wird sich die Situation wahrscheinlich erst ändern, wenn es autonome Autos gibt.

Alles für die Arbeit

Man merkt der Region an, dass das Leben vor allem auf Arbeit ausgerichtet ist. Die Läden sind täglich bis 22 Uhr offen, auch am Wochenende. Es gibt für alles einen Lieferservice. In den letzten beiden Jahren wurde vor allem die Lieferung von Lebensmitteln ausgebaut. Man muss nicht mehr in den Supermarkt, sondern kann seinen Einkauf online erledigen und von Google Express und Amazon liefern lassen.

Die Arbeitsplätze sind darauf ausgelegt, dass die Angestellten so viel Zeit wie möglich dort verbringen können und sich nicht durch Alltagserledigungen unterbrechen lassen müssen oder zumindest die Unterbrechungen auf ein Minimum beschränken können, indem alles direkt am Arbeitsplatz geboten wird. Die meisten Unternehmen haben ein Fitnessstudio in ihrem Gebäude oder zumindest ein, zwei Fitnessgeräte. Viele bieten Yoga in der Mittagspause an. Ein Bällebad oder Minigolf im Büro gibt es allerdings nicht, wie manche Artikel über die Bürokultur im Silicon Valley suggerieren ¹, stattdessen sind riesige Großraumbüros mit Cubicles der Standard.  

Es gibt oft freies Essen, um die Mittagspause zu verkürzen oder um zu rechtfertigen, dass während der Mittagszeit Meetings abgehalten werden. Manche Firmen bieten ihren Mitarbeitern durchgehend kostenloses Essen und Getränke, Google und Facebook zum Beispiel. Was die Firmen nicht vor Ort bieten können, lassen sie anfahren. Es gibt Zahnarztpraxen in umgebauten Bussen, die auf dem Parkplatz der Firma abgestellt werden können, um den Mitarbeitern Kontrolltermine mit dem geringstmöglichen Zeitaufwand zu ermöglichen. Es gibt rollende Fahrradreparaturwerkstätten, die sich um die Wartung von Fahrrädern kümmern, während die Besitzer in ihren Cubicles weiter programmieren können. Es gibt sogar einen Tankservice, der mit dem Tankwagen vorbeikommt und die Autos betankt. Alles da, damit die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz nicht verlassen und ihre Arbeit nicht unterbrechen müssen. Nur Kinderbetreuung gibt es nicht.

Zwischenstopp

Wenn man etwas länger hier wohnt, spürt man, dass der Gegend der soziale Kitt fehlt, der durch gewachsene Gemeinschaften und Strukturen entsteht. Für die meisten Bewohner bildet das Silicon Valley eine Durchgangsstelle in der Karriere, um ihr etwas Antrieb zu verschaffen. Man arbeitet ein paar Jahre hier, um sich zu profilieren und zieht dann weiter. In den zwei Jahren, in denen wir hier wohnen, habe ich nur zwei Personen kennengelernt, die hier geboren wurden und deren Familie aus der Gegend stammt. Die Fluktuation ist so hoch, dass man sich seiner sozialen Beziehungen nie sicher sein kann, weil jeder jederzeit wegziehen könnte. Gleichzeitig hat diese bunte Mischung von Menschen, die für kurze Zeit hier zusammen geschmissen werden, bevor sie weiterziehen, auch ihren Reiz. Weil eigentlich jeder auf der Suche nach sozialen Kontakten ist, sind alle sehr offen, man kommt schnell ins Gespräch, unterhält sich, ohne gleich eine Verpflichtung einzugehen. Ein bisschen so, wie wenn man einen netten Sitznachbarn im Zug oder Flugzeug hat und plötzlich ein überraschend tiefgehendes Gespräch mit ihm führt und Dinge ausspricht, die man sonst für sich behält. Es fällt leichter, sich der fremden Person zu öffnen, weil die Situation so unverbindlich ist und man weiß, dass man sich danach nie wieder sieht.

Das angenehme Leben

Hier zu leben ist angenehm, dieses Wort trifft es für mich am besten. Der Lebensstandard ist sehr hoch: wir wohnen in einer Anlage, die aussieht wie ein 4-Sterne Hotel und mit Pool, Whirlpool und Fitnessstudio dieselben Annehmlichkeiten bietet.  Die Sonne scheint so gut wie immer und frieren tut man höchstens ein bisschen im Dezember, wenn es auch zur Jahreszeit passt. Alles sieht hübsch und ordentlich aus, die Grünanlagen und Parks sind gepflegt und schön bepflanzt. Es gibt überall ausreichend Parkplätze. Außer dem dichten Berufsverkehr gibt es keine wirklichen Ärgernisse. Wir leben hier in einer Blase, die sich so mit Komfort, Luxus und Geschäftigkeit umgibt, dass die unangenehmen Dinge nicht wirklich durchdringen oder zumindest leicht mit einem Sprung in den Pool ignoriert werden können. Manchmal fehlt mir das echte Leben und ich komme mir vor wie Jim Carry in der Truman Show, nur dass ich den Weg aus der Blase noch nicht gefunden habe.

Weitere Beiträge zum Thema Leben im Silicon Valley

https://www.psychophilie.com/blog/2018/8/20/die-guten-seiten-des-silicon-valley-die-5-dinge-die-mir-hier-am-besten-gefallen

Verweise