Warum Selbstoptimierung? - Teil I
Wie ich auf das Thema gekommen bin und warum ich darüber schreiben muss
Ich bin beim Surfen im Internet eingeschlafen und mit dem Kopf auf die Tastatur gesackt. Als ich aufwachte, leuchtete das Wort selbstoptimierung auf dem Bildschirm. Meine Stirn musste es beim Auftreffen auf die Tastatur getippt haben und hat so preisgegeben, was mein Unterbewusstsein beschäftigt.
Wäre eine super Geschichte für Parties und Kneipenrunden, und die Situation mit dem Einschlafen ist durchaus realistisch, aber so war es leider nicht. Ich habe es ausprobiert, meine Stirn kann höchstens “hnjjjjjjjjjjjjjjj” oder “yyyyyyyyyyg” tippen, das reicht noch nicht einmal für ein Anagramm von Selbstoptimierung.
Die wahre Geschichte ist etwas emotionsgeladener, aber leider nicht ganz so spektakulär: Ich habe für ein Buch recherchiert und war dabei, aus ein paar schwammigen Ideen ein Konzept zu klopfen, das mich überzeugt. Ich recherchierte, las, dachte nach, sammelte Ideen, dachte nach, las … und irgendwann wurde mir klar, dass ich meinem Ideensammelsurium genauso gut die Überschrift Selbstoptimierung verpassen könnte, weil sich alles irgendwie um dieses Thema drehte. Also fing ich an, direkt zum Thema Selbstoptimierung zu recherchieren und las Artikel aus allen Ecken des Internets dazu. Was ich da las wühlte mich auf, vieles davon machte mich sogar richtig wütend. Ich saß vor meinem Computer, schüttelte den Kopf, lachte verächtlich und schlug mir die Hände vors Gesicht, wenn mich ein Artikel besonders aufregte. Auf der anderen Seite klatschte ich in die Hände, zeigte mit dem Finger auf den Bildschirm und nickte eifrig mit dem Kopf, wenn ich etwas las, das genau beschrieb, was ich dachte. So eine starke Reaktion habe ich normalerweise nur, wenn ich Bücher lese, die mich richtig fesseln. Je mehr Artikel ich gelesen hatte, umso genervter war ich. Die meisten Texte waren Variationen ein und desselben Artikels, die immer dieselben Argumente runterbeteten. Überall wird die Dystopie heraufbeschworen, dass wir zu narzisstischen, egoistischen Effizienzmaschinen werden, die sich nur noch auf das konzentrieren, was sich messen lässt. Während auf der anderen Seite die Verheißungen von Selbstoptimierungstechniken und -programmen genauso überzogen dargestellt werden: Knacken Sie den Produktivitästcode, nutzen Sie jede Minute, erreichen Sie all Ihre Ziele - entspannt und schneller als je zuvor….Es hat den Anschein als fände auf beiden Seiten ein schamloses Wettrüsten statt. Um Aufmerksamkeit zu bekommen, versucht man sich gegenseitig zu überbieten, stellt Befürchtungen und Versprechungen auf, ohne sie wirklich zu Ende zu denken. Man könnte ja wenigstens erwarten, dass ab und an Belege in Form von Studien oder Umfragen angeführt werden, um diese ganzen Annahmen zu untermauern. Wirklich überprüft, ob Selbstoptimierung uns mehr Kontrolle gibt oder ob sie uns in gestresste Narzissten verwandelt, hat anscheinend noch niemand.
Tada, und schon hatte ich meine Berufung gefunden, zumindest für die nächsten Monate: Der Selbstoptimierung mit ihren eigenen Mitteln zu Leibe rücken, sie zu evaluieren und auf ihre positiven und negativen Auswirkungen zu überprüfen und wichtiger noch, ihre psychologischen Effekte zu untersuchen also was sie wirklich mit uns, in diesem Fall mit mir, macht.