Psychophilie

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Andere Sprache, anderer Mensch? - Wie uns das Sprechen einer Fremdsprache beeinflusst

Ich frage mich oft, wie es sich anfühlen würde, wenn hier im Silicon Valley alle Deutsch sprechen würden oder wenn Englisch meine Muttersprache wäre. Würden mich meine amerikanischen Freunde dann anders wahrnehmen? Zumindest könnte ich in Gesprächen mehr beitragen und könnte mehr von mir erzählen, weil ich nicht immer ewig nach den richtigen Worten suchen müsste. Vielleicht könnte ich dann sogar schlauere Sachen sagen, weil mein Gehirn nicht so sehr mit der anderen Sprache beschäftigt wäre? (Spoiler: die Forschung spricht dagegen, zumindest scheinen wir logischer zu denken, wenn wir in einer Fremdsprache denken.)

Die Hürde im Kopf

Den Alltag in einer Fremdsprache zu bestreiten, ist schwerer, als ich anfangs dachte. Irgendwie hatte ich die leicht verklärte Vorstellung, dass ich mich so an die Sprache gewöhne, dass es mir irgendwann gar nicht mehr auffällt, dass ich eine andere Sprache spreche als meine Muttersprache¹. Wahrscheinlich weil es bei vielen anderen so mühelos und einfach wirkt. Das ist es aber nicht! Eine Fremdsprache bleibt etwas Fremdes, eine Hürde im Kopf, die man jedes Mal überwinden muss, wenn man etwas sagen oder schreiben will. Für mich fühlt sich das an, wie Tabu-spielen. Tabu ist dieses Gesellschaftsspiel, bei dem man Worte so umschreiben muss, dass sie die Mitspieler erraten. Die offensichtlichen Begriffe darf man dabei aber nicht benutzen, sondern muss sich stattdessen Alternativen überlegen.

Eine andere Sprache zu verwenden, hat tatsächlich weitreichende Konsequenzen: Sie beeinflusst, wie wir Probleme wahrnehmen und lösen und wie wir uns entscheiden. Sie kann sogar neue Aspekte unserer Persönlichkeit hervorbringen und dazu führen, dass wir andere Facetten von uns zeigen als in unserer Muttersprache.

Wie wär’s mit einem kleinen Experiment?

Keine Angst, Sie müssen nichts ausfüllen, nur die Frage für sich beantworten.

Bereit? 

Let's switch to English (falls Sie kein Englisch verstehen, lesen Sie hier weiter):

Imagine you are standing on a footbridge overlooking a train track. A small on-coming train is about to kill five people and the only way to stop it is to push a heavy man off the footbridge in front of the train. This will kill him, but save the five people.

What do you do?

  1. Do nothing, and the train kills the five people on the track.

  2. Push the heavy man off the bridge, which will kill him, but safe the five people.

 

Und wie haben Sie sich entschieden?

Wenn Sie die erste Alternative gewählt haben, dann sind Sie in guter Gesellschaft: im Schnitt entscheiden sich 80% der Befragten dagegen, den dicken Mann von der Brücke zu stoßen. Falls Sie sich dafür entschieden haben, den Mann zu opfern, liegt das wahrscheinlich an Ihren utilitaristischen² Moralvorstellungen, aber vielleicht auch daran, dass Sie die Frage in einer Fremdsprache gelesen haben.

Andere Sprache, andere Moralvorstellungen?

Es ist gut möglich, dass Sie die Frage anders beantwortet hätten, wenn Sie sie in Ihrer Muttersprache gelesen hätten. Das lassen zumindest die Ergebnisse einer Studie von Albert Costa und Kollegen³ vermuten, in der die Teilnehmenden vor genau dasselbe moralische Dilemma gestellt wurden und zwar entweder in ihrer Muttersprache, das heißt Englisch, Spanisch oder Koreanisch, oder einer Fremdsprache, in diesem Fall Englisch, Spanisch, Französisch oder Hebräisch. In ihrer Muttersprache befragt, waren im Schnitt nur 20% der Teilnehmenden dafür, einen Mann zu opfern um fünf Personen zu retten. In der Fremdsprache waren es dagegen 33%. Egal um welche Sprachkombination es sich handelte, in der Fremdsprache befragt, entschieden sich immer mehr Teilnehmende dafür, den dicken Mann von der Brücke zu stoßen, als in der Muttersprache.

Weniger Gefühl - mehr Logik

Die Autoren der Studie erklären diesen Unterschied dadurch, dass in der Fremdsprache weniger Emotionen hervorgerufen werden als in der Muttersprache und eine größere Distanz zur Entscheidung herrscht. Um das zu belegen, verwendeten sie in einer zweiten Studie eine andere Version des Dilemmas, die weniger emotionsgeladen war. In dieser Version musste nur ein Schalter umgelegt werden, um den dicken Mann zu opfern, und die Befragten mussten sich nicht vorstellen, ihn selbst von der Brücke zu stoßen. Bei diesem emotionsärmeren Dilemma entschied sich ein größerer Teil der Personen, die in der Muttersprache befragt wurden, dafür, den Mann zu opfern, und der Unterschied zwischen Fremd- und Muttersprache verschwand.

Wenn wir in einer Fremdsprache Entscheidungen treffen, lassen wir uns also weniger von unseren Gefühlen mitreißen, aber nicht nur das, wir denken auch logischer und systematischer. Denken wir in einer Fremdsprache, sind wir weniger anfällig für kognitive Verzerrungen und schätzen Gewinnchancen und Risiken besser ein, was wiederum zu besseren Entscheidungen und höheren Erträgen bzw. geringeren Verlusten führt. 4

Die größere emotionale und kognitive Distanz bei Fremdsprachen können Sie sich übrigens leicht vergegenwärtigen, indem Sie Kraftausdrücke und obszöne Begriffe laut aussprechen.  Probieren Sie es zuerst auf Englisch, oder in welcher Sprache auch immer Sie Kraftausdrücke und obszöne Bemerkungen kennen, und dann auf Deutsch. (Machen Sie das am besten, wenn Sie alleine sind, sonst könnte es zu Beschwerden und Verzerrungen aufgrund von sozialer Erwünschtheit kommen.) In der Fremdsprache gehen die schmutzigen Begriffe viel leichter über die Lippen. 5 Ironischerweise flucht man aber aus demselben Grund eher in der Muttersprache, weil es beim Fluchen ja darum geht, Emotionen rauszulassen.

Die Fremdsprache als rosa Brille

Gerade dann, wenn man eine Sprache aus Spaß und Interesse lernt, wirkt sie oft wie eine rosa Brille oder eher ein Snapchat-Filter, durch den man die Welt anders wahrnimmt und alles etwas schöner, besser und aufregender wirkt. Auf Französisch klingt selbst eine Waschanleitung gleich eleganter und intellektueller und auf Italienisch wird sogar ein Strafzettel zur sinnlichen Lektüre. Auch man selbst verändert sich im Zauber der neuen Sprache, fühlt sich freier und probiert auch mal andere Verhaltensweisen aus als sonst. 6

Andere Sprache, andere Persönlichkeit?

Sich wie ein anderer Mensch zu fühlen, wenn man eine andere Sprache spricht, davon berichten Viele. Mittlerweile ist das auch wissenschaftlich erwiesen: Studien zeigen, dass mehrsprachige Personen, unterschiedliche Persönlichkeitsprofile aufweisen, je nachdem in welcher Sprache sie einen Persönlichkeitsfragebogen ausfüllen. So wirkten die Teilnehmer einer Studie von Marina Veltkamp und Kollegen eher extravertiert und neurotisch, wenn sie den Persönlichkeitsfragebogen auf Spanisch beantworteten, und sahen sich dagegen eher als verträgliche Menschen, wenn der Bogen auf Deutsch war. 7 Die Autoren begründen das damit, dass mit jeder Kultur bestimmte Persönlichkeitseigenschaften assoziiert sind, die durch die Sprache hervorgehoben und aktiviert werden.  

Sprachkurs statt Sportwagen

Wenn Sie also mal wieder in einer Fremdsprache vor sich hin stolpern, wie es mir ständig geht, trösten Sie sich: die Sprachhürde führt immerhin dazu, dass Sie logischer denken und bessere Entscheidungen treffen! Und falls Sie gerade in einer Krise stecken oder sich langweilen, probieren Sie’s mal mit einem Sprachkurs. So können Sie sich frei fühlen und neue Seiten an sich entdecken, ohne dass Sie gleich eine Affäre anfangen, ein schnelleres Auto kaufen oder eine ganze Typveränderung auf sich nehmen müssen!

 

Verweise

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 Noch mehr Interesse am Thema Sprache und Persönlichkeit?

Daniel Peyronel hat für Perspective Daily ein tolles Interview mit dem Sprachforscher Jean-Marc Dewaele geführt:

Mit wie vielen Nationalitäten warst du schon im Bett?

Foto von Jon Tyson auf Unsplash