Selbstoptimierungskritik - die sechs wichtigsten Punkte
Nachdem es im letzten Beitrag um die Gründe für Selbstoptimierung ging, muss jetzt natürlich die Kritik kommen, vor allem weil sie gefühlt über 80% der Berichterstattung über Selbstoptimierung ausmacht. Ich habe mich durch einen Berg von Selbstoptimierungskritiken auf Blogs, in Zeitungen und in Büchern gelesen und die sechs wichtigsten Kritikpunkte herausgefiltert.
Die wichtigsten Kritikpunkte auf einen Blick
- Selbstoptimierung ist zur Pflicht geworden
- Selbstoptimierung bedeutet Stress
- Wer nicht mitmachen kann oder will, bleibt zurück
- Selbstoptimierung macht egoistisch
- Selbstoptimierung macht effizienzgeil, alles wird nach Kosten-Nutzen-Aspekt beurteilt
- Selbstoptimierung ist oberflächlich und geistlos
1. Selbstoptimierung als Pflicht - Vom Kampf gegen abwärtsfahrende Rolltreppen
Der erste und wohl wichtigste Punkt der Kritiker ist, dass Selbstoptimierung nicht mehr freiwillig sei, sondern von der Freizeitbeschäftigung für Nerds und Streber zur Pflicht geworden sei. Selbstoptimierung sei mittlerweile der Standard, und es werde von jedem erwartet, dass er an sich arbeite und alles daran setzt, seine Schwächen auszumerzen und seine Stärken weiter auszubauen. Auch der Soziologe Hartmut Rosa attestiert "Wir leben unter dem permanenten Zwang zur Selbstoptimierung." ¹ In einem Interview mit dem Tagesspiegel erklärt er, dass unsere Zeit so schnelllebig sei, dass sich alle Bereiche, also Wirtschaft, Technik, Kultur und Gesellschaft abstrampeln müssten, um bestehen zu bleiben. Dieser Steigerungszwang, der im ganzen System herrsche, zwinge auch das Individuum zur stetigen Verbesserung seines wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und körperlichen Marktwertes. Es scheine keine Alternative mehr zu Selbstoptimierung zu geben, so die Kritik, Selbstoptimierung sei nicht mehr freiwillig sondern notwendig um mithalten zu können. “Der Umstand,“ so Rosa weiter “dass wir uns ständig verbessern müssen, bloß um unsere Position zu halten, korreliert mit dem Gefühl, gegen abwärtsfahrende Rolltreppen anzulaufen.” ¹ Das führt gleich zum zweiten Kritikpunkt: Selbstoptimierung bedeutet Stress.
2. Selbstoptimierung bedeutet Stress - Ein Perpetuum mobile der Anspannung
Der Versuch oder besser die Pflicht, uns selbst zu verbessern, fügt unserem Leben ein neues Aufgabenfeld hinzu. Neben Arbeit, Familie, Haushalt und Freizeit kommt jetzt noch das Gebiet Selbstoptimierung dazu. Pausen gäbe es keine mehr, so die Kritik. Schlimmer noch, wir seien gar nicht mehr dazu fähig, Pause zu machen, weil wir das Verbesserungsstreben schon soweit internalisiert hätten, dass wir uns beim Verschnaufen sofort schuldig fühlten. Selbstoptimierung wird deshalb häufig mit Selbstausbeutung gleichgesetzt. Laut Moritz Baumstieger von der Süddeutschen seien wir unsere eigenen “Selbstoptimierungs-Tyrannen” und hätten uns “ein System geschaffen, das perfekt ist: Sklave und Sklaventreiber, Stresser und Gestresster sind ein und dieselbe Person. Das garantiert ein kontinuierlich hohes Druckniveau, ein Leben lang. Ein Perpetuum mobile der Anspannung, das läuft, bis ein Magengeschwür oder ein Herzkasperl dazwischen kommt.” ²
3. Aussortiert - Wer nicht mitmacht, bleibt zurück
Und dann? Das ist auch schon der nächste Kritikpunkt: was ist mit denen, die beim Selbstoptimierungs-Zirkus nicht mitmachen können oder wollen? Wer es nicht schafft, gegen die Rolltreppe anzulaufen, wird von ihr abtransportiert und automatisch aussortiert. “In solch einem Leben haben Defizite keinen Platz. Genauso wenig wie Schwerfällige, Langsame – und Nachdenkliche.” ³ schreibt Julia Friedrichs in der Zeit. Weitere Verlierer beim Volkssport Selbstoptimierung sind die mit niedriger Bildung oder geringen kognitiven Fähigkeiten und die, die aufgrund ihrer familiären, finanziellen oder gesundheitlichen Situation so damit beschäftigt sind, irgendwie zu überleben, dass sie keine Kraft für Selbstoptimierung haben.
4. Rückzug ins Ich - Selbstoptimierung macht egoistisch
Eine weitere Befürchtung der Kritiker ist, dass Selbstoptimierung egoistisch mache. Selbstoptimierung vereinnahme uns so sehr, dass wir alles andere außer Acht ließen. Maxim Westermann schreibt auf zeitjung über die Selbstoptimierer: “trotz ungeahnter Kräfte bewegen sie nichts außer sich selbst”. 4 Wir fokussieren uns so sehr auf unseren Körper und unser Vorankommen, dass wir von allem anderen, unseren Mitmenschen, der Gesellschaft und der Umwelt, nichts mehr mitbekommen. Manche behaupten, dass das Sinn und Zweck der Selbstoptimierung sei, wie sich die deutschen Biedermeier im 19. Jahrhundert in ihre Wohnung zurückgezogen haben, ziehen wir uns in unseren Körper zurück 5. Aber wenn wir uns alle zurückziehen, bleibt niemand zurück, der sich um die Gesellschaft, soziale Belange und die Umwelt kümmert und Julia Friedrichs von der Zeit fragt sich : “Was wäre wohl los, kämen all der Erfindungsreichtum, all die Fantasie, all die Kraft, das Geld und die Zeit, die Selbstoptimierer in sich selbst investieren, anderen zugute?” ³
5. Ohne Mus(s)e - Selbstoptimierung macht effizienzgeil
Ein anderes Problem, das die Kritiker mit Selbstoptimierung haben, ist, dass sie effizienzgeil mache und dazu führe, dass alles nach dem Kosten-Nutzen-Aspekt beurteilt würde. Wenn wir im Selbstoptimierungs-Fieber sind, strukturieren wir unsere Umwelt so, dass wir alles danach beurteilen, ob es unserem Selbstoptimierungs-Vorhaben förderlich oder hinderlich ist. Alles, was uns nutzlos vorkommt, wird ignoriert, wie etwa Muße und Spiel. Maxim Westermann beklagt auf zeitjung, dass die Wiesen in Parks mittlerweile mehr für ein vom Smartphone gesteuertes Training aus Liegestützen, Hampelmännern und Klimmzügen genutzt würden als für eine zwanglose Partie Frisbee, Fußball oder Federball mit Freunden. “Miteinander zu spielen, willkürlich auf der grünen Wiese oder gar im Verein, ist für gewöhnlich ein zeitintensives Unterfangen. Nicht effizient genug, will man wirklich jener Gewinner sein und den Durchschnitt hinter sich lassen.” 4
6. Geistloser Zahlenfetisch - Selbstoptimierung ist und macht oberflächlich
Schließlich wird der Selbstoptimierung vorgeworfen, dass sie oberflächlich und geistlos sei. Der Fokus auf Effizienz und greifbaren Fortschritt führt zur Bevorzugung von Aufgaben und Zielen, die leicht zu erfassen und messbar sind. ³ Gerade komplexere und kulturelle Themen entziehen sich aber der Messbarkeit: das Verstehen und Bewerten komplexer Sachverhalte, Wissen, das über reines Faktenwissen hinausgeht, Erfahrung, Reisen und Kunst lassen sich schwer erfassen und dokumentieren, stattdessen werden lieber Schritte gezählt, Herzschläge gemessen, Essen und Körper gewogen. Manchmal werden auch gelesene Bücher oder Seiten und getippte Zeichen gezählt. Wie gut das Essen geschmeckt hat, wie inspirierend die Bücher und wie gehaltvoll die getippten Zeichen waren, wird aber nicht erfasst. Es geht nur noch um Zahlen, schöne, steigende Zahlen, aber die eigentlichen Werte dahinter verschwinden. Wenn man nur das, was man erfassen kann, zum Maßstab macht, legt man den falschen Maßstab an und läuft Gefahr, oberflächlich und geistlos zu werden, weil man Geist und Kultur nicht messen kann.
Das waren die sechs Punkte, um die sich die Diskussion um Selbstoptimierung hauptsächlich dreht und die am häufigsten genannt werden, wenn es darum geht, vor der Selbstoptimierungs-Epidemie zu warnen.
Verweise