Psychophilie

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Entscheidungsmarathon beim Geschenkekauf - Von Maximizern und Satisficern und der Spirale des Wahnsinns

Advent war für mich immer eine dunkle Zeit, eine Zeit der Vorbereitung, des Wartens, der Ungeduld und der Vorfreude. So war es zumindest als Kind, mit dem Erwachsenwerden hat die Adventszeit leider etwas von ihrer Magie verloren. Für Erwachsene ist Advent eher eine Zeit, die besonders stressig ist. Während man zwischen all den Weihnachtsfeiern und Glühweinorgien versucht nüchtern zu werden, überkommt einem Panik, weil man noch nicht alle Geschenke hat. Es hilft auch nicht, dass man überall plötzlich Vorschläge bekommt, was man seinen Liebsten schenken kann, und in der Werbung schon am 1. Dezember von Last-Minute-Geschenken gesprochen wird.

Der Geschenkekauf ist für mich neben der Suche nach der passenden Geschenkidee die größte Herausforderung der Adventszeit. Dieses Jahr dachte ich, ich fange zum Einstieg mit etwas Leichtem an: Für meine Schwiegermutter hatte ich schon eine konkrete Geschenkidee, die schnell zu besorgen sein sollte: eine Teeuhr. Sie trinkt gerne Tee und was gäbe es da besseres, als mit dem Weihnachtsgeschenk dafür zu sorgen, dass sie nie wieder den Tee zu lange ziehen lässt.

Die Spirale des Wahnsinns

Also auf zum Teeuhren-Kauf! Da es in meiner Nähe kein Teeuhren-Fachgeschäft gibt, schmeiße ich den Rechner an und schaue, was das Internet an Teeuhren zu bieten hat. Ich frage Google und erhalte 761 000 Suchergebnisse. Als ich das erste Ergebnis sehe, erkenne ich, dass ich ihr auch einfach eine kostenlose App für ihr Smartphone schenken könnte. In einer kurzen Diskussion mit mir selbst, versuche ich die unangenehme Erkenntnis zu verarbeiten, dass meine Geschenkidee damit hinfällig ist.

Ich: Eine Teeuhr ist besser als eine App. Ihr Handy-Akku könnte schließlich leer sein! Das passiert ständig!

Ich 2: Dann kann sie ihr Handy einfach anschließen und aufladen!

Ich: Ja, aber was, wenn direkt nach dem das Teewasser gekocht hat, der Strom ausfällt?

Ich 2: Dann kann sie ihren Ersatzakku benutzen!

Ich: Hat sie sowas überhaupt und was ist, wenn sie ihn nicht findet? Während sie den Ersatzakku sucht, weiß sie ja gar nicht, wie lange ihr Tee schon zieht!

Als ich darauf keine Antwort finde und mich somit erneut von meiner Geschenkidee überzeugt habe, mache ich mich ans Durchschauen der Ergebnisse.  

Nach 30 Minuten habe ich die Masse an Ergebnissen auf vier Favoriten reduziert:

  • eine formschöne Sanduhr

  • einen digitalen Teatimer mit extra großen Zahlen und Knöpfen,

  • eine Profi-Teeuhr, die zusätzlich noch die Wassertemperatur misst

  • eine Pinguin-Teeuhr, die mit dem Schnabel den Teebeutel aus dem Wasser zieht, damit auch gar nichts mehr schief gehen kann.

Von 761 000 Suchergebnissen auf 4 ist schon mal nicht schlecht. Aber zuerst brauch ich eine Pause, diese ganzen Entscheidungen haben mich ganz fertig gemacht. Zur Erholung flüchte ich auf Youtube und schau mir ein Video von tanzenden Katzen an.

Etwas erholt widme ich mich den verbliebenen 4 Optionen. Als erstes sortiere ich die Sanduhr aus, sie sieht zwar schön aus, piepst aber nicht und wird deshalb schnell vergessen. Den digitalen Timer mit extra großen Knöpfen sortiere ich als nächstes aus, ich will nicht, dass meine Schwiegermutter dieses seniorengerechte Gerät als Beleidigung sieht und denkt, ich denke, sie sei nicht mehr in der Lage auf kleine Knöpfchen zu drücken.

Bleiben noch die Profi-Uhr mit Thermometer und der Pinguin. Für diese (hoffentlich) finale Entscheidung ziehe ich das letzte Ass aus dem Ärmel, dass das Einkaufen im Internet mir zu bieten hat: Bewertungen anderer Kunden.

Aber zuerst noch ein Katzenvideo!

Nächste Erkenntnis nach Lesen der Bewertungen: Enttäuschung! Es scheint einfach keine richtig gute Teeuhr zu geben, alle haben irgendeinen Mangel: zu laut, zu kompliziert, zu langsam geliefert, zu instabil. Ich hatte es mir so einfach vorgestellt, nur ein paar Klicks und schon ist das perfekte Geschenk auf dem Weg zu mir. Jetzt hab ich zwar tausende Teeuhren zwischen denen ich wählen kann, aber keine scheint die richtige zu sein. Wäre ich doch nur ins Geschäft gegangen: Da gäbe es nur ein oder zwei Modelle, und der Verkäufer sagt mir genau das, was ich hören will! Nach dieser ernüchternden Feststellung brauche ich erstmal ein Katzenvideo zur Aufheiterung.

Am Ende entschließe ich mich für die Pinguin-Teeuhr. Der Profi-Timer mit Thermometer hatte laut der Bewertungen den großen Nachteil, dass der Timer nur startet, wenn das Wasser die exakt richtige Temperatur hat, was im Alltag nicht unbedingt leicht umzusetzen ist. Es sei denn, man hat einen Wasserkessel, bei dem man die Temperatur einstellen kann, aber dann braucht man das Thermometer nicht mehr. Also wird es der Pinguin, obwohl auch er ein paar negative Bewertungen bekommen hat. Ein Review-Schreiber bemängelte zum Beispiel, dass das Pinguin-Design zu niedlich sei, und er lieber einen puristischen Metall-Zylinder mit neutraler Teebeutel-Aufhängevorrichtung gehabt hätte. Mir bleibt nichts anderes übrig als zu hoffen, dass meine Schwiegermutter Pinguine mag. Immerhin hat der Pinguin den entscheidenden Vorteil, dass er nicht nur den Teebeutel alleine rauszieht, sondern auch ohne Strom auskommt, womit er die Handy-App auf jeden Fall schlägt. Nach zwei Stunden und drei Katzenvideos, klicke ich endlich auf Bestellen und lehne mich erschöpft zurück. Geschenk 1 erledigt, 15 fehlen noch.

Von Maximizern und Satisficern - Nur das Beste oder reicht gut genug

Kommt Ihnen das bekannt vor? Sind Sie auch schon in die Spirale des Wahnsinns geraten, als Sie nur mal schnell was im Internet bestellen wollten? So ist das zumindest bei Maximizern, so bezeichnet der Psychologe Barry Schwartz Personen, die bei Entscheidungen, erst zufrieden sind, wenn sie die bestmögliche Lösung gefunden haben. Egal welche und wie viele Optionen sie während ihrer Recherche anschauen, sie können sich erst dann auf etwas festlegen, wenn sie sich sicher sind, dass sie die bestmögliche Option gefunden haben. Wie die Teeuhr-Geschichte zeigt, kann das sehr anstrengend und zeitraubend sein.

Vielleicht können Sie mit meinem Beispiel auch gar nichts anfangen und erkennen sich darin nicht wieder, dann herzlichen Glückwunsch: Sie sind ein Satisficer! Satisficer sind laut Barry Schwartz Personen, die zufrieden sind, sobald sie eine Lösung gefunden haben, die ihren Ansprüchen genügt. Haben sie eine Option gefunden, die gut genug ist, wählen sie sie und hören auf zu suchen. Wie gut oder schlecht sie im Verhältnis zu den anderen Optionen ist, ist ihnen egal. Ein Satisficer wäre gar nicht erst in die Spirale des Wahnsinns geraten und hätte gleich den Senioren-Timer mit extra großen Zahlen gewählt, weil er alle wichtigen Kriterien erfüllt: Lässt eine bestimmte Zeit einstellen und piepst, wenn sie um ist. Perfekt, wird gekauft!

Jetzt könnte man vermuten, dass Maximizer zufriedener mit ihrer Wahl sind, weil sie eine fundierte Entscheidung getroffen haben, die auf einer breiten Informationsbasis beruht. Trotzdem bereuen Maximizer oft ihre Entscheidung oder zweifeln zumindest an ihr. Weil sie während der Recherche die Erfahrung machen, dass keine Option perfekt ist, sind sie sich  stärker bewusst, welche Mängel die gewählte Alternative mit sich bringt. Gleichzeitig haben sie die Vorteile der verschmähten Optionen im Kopf, auf die sie mit ihrer Entscheidung verzichten mussten. Außerdem ärgern sie sich wahrscheinlich, dass sie so viel Zeit und Energie in den Entscheidungsprozess gesteckt haben. Je mehr Auswahl es gibt, desto schwerer wiegen diese Punkte und führen dazu, dass Maximizer unzufrieden mit ihrer sorgfältig getroffenen Entscheidung sind.  

Wenn Sie ein Satisficer sind, grinsen Sie nicht so dämlich! Ich garantiere Ihnen, es gibt Entscheidungsbereiche, in denen Sie auch Maximizer sind. Beim Kauf von bestimmten Elektrogeräten, wie Smartphones, Kameras oder Fernsehern vielleicht? Beim Bestellen im Restaurant? Beim Kleiderkauf? Oder bei der Wohnungssuche?  Die meisten Menschen sind nämlich eine Mischung aus Satisficer und Maximizer.

Wenn Sie jetzt Ihre Maximizer-Tendenz entdeckt haben, entspannen Sie sich! Der beste Schutz vor der Spirale des Wahnsinns ist, sie zu kennen. Wenn Sie das nächste Mal eine Entscheidung treffen müssen, machen Sie es wie ein Satisficer: überlegen Sie sich vorher, was Sie genau haben wollen und welche Kriterien Ihnen wichtig sind, und ignorieren Sie alles andere. Sobald Sie eine Option gefunden haben, die diese Kriterien erfüllt, nehmen Sie sie.

Sie können auch meine aktuelle Lieblingserziehungsmethode benutzen, die bei Erwachsenen genauso gut funktioniert wie bei Kleinkindern: Stellen Sie sich einen Timer (ich hoffe nur, Sie müssen dazu nicht extra einen kaufen)! Legen Sie eine Zeit fest, in der Sie sich ausreichend über die verschiedenen Optionen informieren können, und wenn der Timer piepst, hören Sie mit der Recherche auf. Dann können Sie nochmal einen Timer stellen, der Ihnen Zeit gibt, Ihre Entscheidung zu fällen.

Natürlich gibt es auch Entscheidungen, bei denen es wichtig ist, die beste Alternative zu finden, im medizinischen Bereich zum Beispiel, wenn es um viel Geld geht oder wenn es um etwas geht, das Ihnen einfach wichtig ist. Damit wir bei den vielen Entscheidungen, die wir im Laufe eines Tages treffen müssen, genug Energie und Motivation für die wichtigen Entscheidungen haben, sollten wir gut mit unserer Entscheidungskraft haushalten. Machen Sie sich deshalb bewusst, bei welchen Entscheidungen Ihnen das Beste wichtig ist und wann Ihnen gut genug reicht.

Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich muss noch einen Rasierpinselhalter kaufen.

Verweise

Mehr zu Entscheidungen und Satisficern und Maximizern:

Von Barry Schwartz gibt es einen tollen und sehr unterhaltsamen Ted Talk, darüber was zu viel Auswahl mit uns macht. Der Vortrag an sich ist auf englisch, man kann aber deutsche Untertitel einstellen:

https://www.ted.com/talks/barry_schwartz_on_the_paradox_of_choice

Außerdem hat Barry Schwartz ein ganzes Buch über Maximizer und Satisficer geschrieben, das sich auch ziemlich gut liest.

Deutsch:  Anleitung zur Unzufriedenheit: Warum weniger glücklicher macht

Englisch: The paradox of choice: why more is less

Foto von rawpixel.com auf Unsplash